Śivasūtra II 1-3


1. cittaṁ mantraḥ |
[Spirituell fruchtbare] Gedanken sind Mantra.
Die Gedanken sind [Śiva].


K: By inntensive awareness of one’s identity with the Highest Rality enshrined in a mantra and thus becoming identical with that Reality the mind itself becomes mantra.
Bh: The mind is mantra.
SL: Mind is mantra.

cittam = gewöhnlich: das meinende Selbst, das individuelle Selbst, Gedanken, Gedankenaparat; gemäß dem Kontext hier als jenes, durch welches die Realität erkannt wird, das Realisationswerkzeug! Es sind die Gedanken eines wahrhaft Suchenden; (von #1 & #10 √cit bewusst sein; Nom. Sg. n.); mantraḥ = eine heilige Silbe, heiliges Wort oder heiliger Text; hier ebenfalls nobles und geweihtes Denken bzw. jenes, durch welches wir unsere Identität mit Śiva wieder erkennen (von #4 √man denken, Nom. Sg. m.);


Im letzten Sūtra des ersten Kapitel wurde die Vitalität von Mantra besprochen. Um diese noch besser zu verstehen wird nun die Natur des Mantras erläutert:

Svami Laksmanjoo sagt, es gibt hier zwei Bedeutungen von Gedanke, und beide sind sie heilig. In seiner ersten Bedeutung ist der Gedanke das heilige Wort, in seiner zweiten Bedeutung handelt es sich um den Gedanken eines wahrhaftig Suchenden. Gedanke steht hiermit nicht, so wie in unserem normalen Wortgebrauch, als etwas, das uns verstreut und die Einheit behindert, sondern vielmehr als jenes, mit wessen Hilfe wir dem höchsten Bewusstsein gewahr werden können. Es ist jener Geist, in welchem sich das Selbst seiner Fülle öffnet. Vimarśa ist die hier fallende Termini, die Kraft Śivas Śiva zu sein, die Kraft des Bewusstseins, bewusst zu sein, die Phänomenalität einer selbstreflektiven Subjektivität. Der kaschmirische Śivaismus nennt vimarśa das Ich-Bewusstsein. Vimarśa kann sich in zweierlei Bewegungen befinden, zum einen als die innere Bewegung des Bewusstseins in die Welt der Objekte und zum anderen als die externe Bewegung von den Objekten zurück in das innere Zentrum. Diesen Mantra rezitiert man nicht mit den Lippen sondern mit Gewahrsamkeit!

Die Wortwurzel √man bedeutet denken; zusammen mit dem Suffix –tra beschreibt sie „ein Werkzeug zum Denken”. Von der selben Wortwurzel auch das Wort Mensch, wir sind Denkwesen. Gedanke an sich, so definiert die indische Gelehrtentradition, ist Zweifel, er ist unruhig, unterliegt einem stetigen nervösen Assoziieren. Psychosomatische Beschwerden resultlieren alle aus schlechtem Denken, einer Art zu Denken, welche eine kontraktierende, negative Schwingung erzeugt.
Die Ṛṣis hatten dies über die tausenden von Jahren klar erkannt. Ihnen wurden jene Worte und Lautkombinationen bewusst, welche eine positive Schwingung erzeugen. Die ganze indische Kultur hatte sich darauf aufgebaut und dementsprechend formiert.
Wiederholtes rezitieren eines Mantras laut oder leise wird japa genannt. Der Japa unterbindet diesen oftmals fraglichen Assoziationsdrang des Geistes und Mantra bewahrt, denn er fokusiert den Geist auf Gott, bzw. auf das Bewusstsein, den Urgrund der Existenz.

Mananāt trāyate iti mantraḥ ist eine bekannte Definition für Mantra, „indem ich den Mantra [stetig] reflektiere, so bewahrt dieser vor Zerstreuung.” In den Tantras finden wir dieser Definition noch ein drittes Wort hinzugefügt, darpaṇa (Spiegel). Der reflektierte Mantra selber reflektiert.
Wen oder Was? Mich, bzw. das Licht reinen Bewusstseins, denn dieses macht mich wirklich aus. Ohne es gibt es gar keine Wahrnehmung.
Wenn jemand wahrhaftig sucht, so wird er angezogen von diesem Licht des Bewusstseins. Die Gedanken von so einem Menschen sind alle heilig, alle seine Gedanken werden zu einem Mantra.

Die Schriften warnen davor der Meinung zu sein Gottes Namen zu rezitieren, wenn nicht das Licht des Bewusstseins dabei die größte Rolle spielt. Selbst göttliche Seelen (devatā) und himmlische Wesen (gandharva) erlagen auf diesem Weg dem Stolz (savajñānottara 16-17).

Es erklärt uns der Kaschmirische Śivaismus des Weiteren, dass der Mantra der weihende Geist eines Yogis ist, bzw. jener Fluss (vimarśa) subjektiven göttlichen Bewusstseins in Richtung objektiven göttlichen Bewusstseins, ebenso wie der gleichzeitige Fluss objektiven göttlichen Bewusstseins in Richtung subjektiven göttlichen Bewusstseins.
Svami Laksmanjoo deutet darauf hin, dass es sich hierbei um mehr als nur eine im Fluss befindliche Strömung des Bewusstseins handelt. Er sagt, es sei vielmehr wie ein Schub und betont, dass das Halten von Gewahrsamkeit bezüglich der Einheit von objektiven und subjektiven Bewusstseins, das Halten von Gewahrsamkeit bezüglich dieses Schubes sei.

„Erkenne deine Gedanken und Geist als Śiva, durch sie erfährst Du Dich selbst als dein eigenes, dir inhärentes und natürliches Bestreben direkt.”

Verfolgen wir das Konzept von cittaṁ mantraḥ weiter, so erkennen wir, es involviert karma, denn so ein Suchender ist aktiv geworden. Seine Wahrnehmung wird nicht nur aus dem intellektuellen, sondern gleichermaßen aus seinem emotionalen und vitalen Zentrum gespeißt. Er handelt gemäß dem was er sieht und weiß, und ist ganz erfüllt von dieser Empfindung. Dieser Mensch hat ein positives Programm geladen, so auch die Bedeutung von cittaṁ mantraḥ.

Bhāskara sagt hierzu treffend, „die Wesenheit des Bewusstseins sei wie ein einziger universeller Geist, welcher die Welt der Gedanken erzeugt, die wie Wellen eines Ozeans sich erheben und wieder fallen.”

Es ist das Bewusstssein, welches sich selbst zu einem Objekt der Gedanken (cetya) zusammenzieht und somit die Form der Gedanken (citta) annimt, wenn es die Absicht hat, seine eigene objektive Wesenheit mit Gedanken zu reflektieren bzw. zu erfahren.

Spandakārikā 27: „Der Mantra ist jener, welchen der Suchende im Geheimen als eins mit dem höchsten Herrn reflektiert. Der Geist eines solchen Suchenden, der sich ganz mit der Gottheit des Mantras identifizierend, wird auf diese Art und Weise eins mit ihm. Ein Mantra ist also nicht nur eine Ansammlung verschiedener Laute.”

Jaideva Singh drückt es so aus: „Durch internsive Gewahrsamkeit der eigenen Identität mit der höchsten Realiät in einem Mantra gebettet, wird man eins mit dieser Realität und Gedanken werden zu Mantra.”

Kṣemarāja fügt noch hinzu: Ein Mantra ist nirañjana, er kann nie nur als Objekt erkannt werden. Er ist immerzu voll des Lichtes des Bewusstseins. Er ist śānta-rūpa, alle Gegensätze haben sich aufgelöst.

Frage: Womit wird jeder Mantra reflekiert?
Antwort: Er wird reflektiert mit dem citta eines wahrhaftig Suchenden.



Wie erlangt ein Yogī so ein citta?


2. prayatnaḥ sādhakaḥ |
[In echter] Anstrengung ist der wahre Suchende [das Werkzeug zur Erleuchtung].
„Der Suchende selbst [betritt die Tür].”

K: Zealous and spontaneous close application is effective in fulfilment.
Bh: Effort is that which attains the goal.
SL: (For such a yogi) pauseless effort brings about his attainment of God consciousness..

prayatnaḥ = stetige Anstrengung (Nom. Sg. m.); sādhakaḥ = ein wahrhaftig Suchender, ein Werkzeug im Erlangen des Zieles (√sādh + -aka, Nom. Sg. m.);


Sādhanā bedeutet die spirituelle Praxis oder Ausbildung, von √sādh, behilflich sein, ein Instrument sein, erlangen, perfektionieren. Ein Sādhaka (m.) oder eine Sādhikā (f.) ist eine Person, die eine spirituelle Praxis ausübt. Ein Vorranschreiten auf dem sprirituellen Weg bedarf Anstrengung, nur dann können wir es auch eine Sādhanā nennen und den Ausübenden einen Sādhaka. Der Punkt, welcher hier gemacht wird, ist dass diese Anstrengung selbst das größt mögliche Werkzeug, ist das Ziel zu erreichen. Die Anstrengung selbst ist eine wunderbare Kraft, sie ist die Wunschkraft der Seele, die ātmabala, die Kraft der Seele. An sie linkt sich der Yogī oder die Yoginī an, praktizieren sie Yoga.

Kṣemarāja nennt uns hierzu eine Stelle aus dem Śrītantrasadbhāva Tantra: „Wie ein Raubvogel seine Beute in der Luft wahrnimmt und ohne Zeit zu verlieren, gerade wegs und blitzschnell zupackt, so möchten auch wir in unsere sprirituelle Praxis involviert sein!”
Śiva selbst sitzt auf einem Tigerfell. Ein Tiger sucht sich aus der Herde sein Opfer aus und ist nicht mehr von ihm abzubringen. Er hat Kraft, ist schnell und hochkonzentriert auf sein Opfer ausgerichtet.

Ein Geist, der sich als Mantra ausbreitet macht das stetig, wieder und wieder. Wiederholtes rezitieren eines Mantras laut oder leise nennt sich japa, auch der Geist eines wahrhaftig Suchenden befindet sich in einem repetativen erkennen der Wahrheit und nennt sich mantra. Wenden wir unseren Geist wieder und wieder von äußerer Verstreung ab, so ist es diese Anstrengung (prayatna), welche selbst zum ausgerichteten Konzentrationsfluss wird.

Svāmi Lakṣmanjoo nennt hier eine einfache Methode um in Kontakt mit der Kraft der Seele (ātmabala) zu treten. Halte einfach den Anfangsmoment der Ausrichtung auf das Konzentrationsobjekt in hoher Gewahrsamkeit, so erhebt sich die Kraft der Seele.

Es ist der Sādhaka selbst das Werkzeug um göttliches Bewusstsein zu erlangen, denn über diesen ausgerichteten Konzentrationsfluss verschmilzt der Verehrende mit dem Verehrten. In vielen Stellen der Tantrischen Literatur zu diesem Thema finden wir, dass das Wissen um diese Gewahrsamkeit der ātmabala der eigentliche Zustand des Mantras ist.

Der Wunsch oder die Anstrengung zum höchten Maße involviert zu sein kommt ja aus der Seele, kommt aus dem Herzen. Dieser Wesenskern ist voller Sentimente und drückt diese ganz von selbst aus. Spandakārikā 2.6: „Ich werde hier sitzen, bis ich den Zustand göttlichen Bewusstseins erlangt habe!” So möchte der Entschluss sein, nicht passiv sondern zum höchten Maße aktiv. Diese Anstrengung selbst ist das göttliche Bewusstsein.


„Die Fähigkeit den Mantra zu artikulieren kommt aus dem Bewusstsein,
es ist der Wunsch den Mantra zu artikulieren.”


Der Mantra eines auf diese Art und Weise stark ausgerichteten Menschens (vācaka) ist das strahlende Selbst. Das nächste Sūtra erklärt uns nun die Wesenheit von Mantra (vācya):


3. vidyāśarīrasattā mantrarahasyam |
Ein wahrhafter Körper aus Wissen (Licht) ist das Geheimnis von Mantra,
oder
der Körper [eines solchen Yogis] besteht aus dem Wissen [um dieses reine und expansive Bewusstsein], so das Geheimnis des Mantras.

K: The luminous being of the perfect I-consciousness inherent in the multitude of words whose essence consists in the knowledge of the highest non-dualism is the secret of mantra.
Bh: The secret of mantra is the Being of the Body of Knowledge.
SL: The secret essence of mantra is establishment in the body of the knowledge of oneness.

vidyā-śarīra-sattā => vidyā-śarīra- = ein Körper aus Wissen, ein Körper aus Licht; in den Tantren ist vidyā die Göttin, der lebendige Körper der spirituellen Wissenschaft, ebenso wie einzelner Systeme (vidyā- von √vid wissen (f.) und -śarīra entweder von √śri der Basis, Fundament oder √śṝ zerfallen, n.); -sattā = die Wahrheit, die Realität, die Gegenwärtigkeit, das Erleben (von √as sein; Abstraktes Nomen mit Suffix –tā, f.) => die Realität eines Körpers aus Licht; mantra-rahasyam => mantra- = die heilige Formel aus Veda und Tantra, ebenso wie jeder weihende positive Gedanke (von #4 √man denken, m.); -rahasyam = das Geheimnis, die geheime Lehre (Nom. Sg. n.) => das Geheimnis des Mantras oder die geheime Lehre bezüglich Mantra;


Mantra nennen wir eigentlich die gesamt Literatur positiver Schwingung aus Veda, Tantra usw., den einzelnen Laut, ebenso wie die Worte, Phrasen oder Sätze der Literatur. Eine ganze Hymne oder tausende von Versen, sie alle sind in unserem Sprachgebrauch Mantra. Der Kaschmirische Śivaismus und sein Śivasūtra lehrt hier den mystischen Aspekt von Mantra. Svāmi Lakṣmanjoo, ebenso wie die anderen Kommentatoren, sagt an dieser Stelle, dass all das eigentlich nicht Mantras sind, denn Mantra in seiner höheren und wahren Bedeutung steht für das höchste Ich-Bewusstsein. Wissen hier ist das höchste Wissen um diese Einheit des göttlichen Bewusstseins, eine Einheit mit dem Universum, aufgefüllt mit diesem höchsten Ich-Bewusstsein. Er betont, dass es Vertrauen in die Einheit des Herrn bedarf, ebenso wie einer zunehmenden Ablösung von den Anhaftungen der Welt.

Vidyā ist die Göttin, sie ist Kuṇḍalinī. Erweckt werden kann sie nur durch den Klang der Selbstgewahrsamkeit (nāda), dem höchsten Ich-Bewusstsein in höchster Gewahrsamkeit. Diese Gewahrsamkeit quirlt der Yogī im Herzen in einem Prozess des Stetiger-Werdens. Unsere Gewahrsamkeit entzündet wieder und wieder das Licht des Bewusstseins (bindu) im eigentlichen Wesenskern.
Betritt er dieses Licht des Bewusstseins, so erlangt der Yogī das Wissen um alles Wissen. Er erlangt alles Wissen der Welt über das Wissen um das Licht des Bewusstseins. Es manifestiert sich als die Ursubstanz des Mantras mit dem er dies übt.

Kṣemarāja erklärt an dieser Stelle die ganze Bandbreite der okkulten Sprachwissenschaft als die Entwicklung von Sprache im Körper des Menschen. Der bewusste Aufstieg der Kuṇḍalinī Kraft im Körper kennzeichnet die Entfaltung der Laute des Alphabets (mātṛkā), welche sich über die bekannten Sprachebenen aus der Einheit in die Vielheit erstrecken. Dieser Prozess nennt sich uccāraṇa, das Sanskritwort für Aussprache. Aufsteigend, so wortwörtlich (ut-carati sā kuṇḍalinī śakti) ist der Prozess bewussten Aussprechens, eines Aussprechens im Einklang mit der Entfaltung des Bewusstseins Lichtes im Wesenskern des Menschen. Die Kuṇḍalinī Kraft ist hier die vitale Verbindung aller Sprachelemente mit dem absoluten Bewusstsein, der Mantra das heilige Vehikel um diese Verbindung und Einheit von Mikrokosmos mit Makrokosmos zu üben.


„Das Geheimnis des Mantras ist dieses kraftvolle expansive Bewusstsein,
indem wir es betreten und Eins mit ihm werden.”

„Mantra ist das Bewusstsein in ein expansives Bewusstsein gebunden.”

„Der Mantra ist in Harmonie mit der kosmischen Ordnung des Universums,
welche aus dieser ursprünglichen Kraft heraus sich entfaltet.”

„Das Licht aller Wissenssubstanz ist die Essenz des Mantras.”


Auf das der Körper des Yogis zu reinem Bewusstsein wird, muss er viel praktizieren um diesen Zustand bzw. die Schau diesbezüglich anzureichern.

Der Mantra erlangt seine Vitalität (vīrya) durch eine kraftvolle innere Ausrichtung auf das Licht des Bewusstseins, welches expansiv das Innere in Wonne weitet (sphuraṇa), so auch der Treibstoff der Existenz. Ein Yogī labt sich durch aktiv ausgeübte Gewahrsamkeit an der Wonne Gottes.
Diese Gewahrsamkeit ist in ihrer Essenz das reine Ich-Bewusstsein (pūrṇāham), welches sich immerzu plötzlich weitet (unmeṣa). Diese Realität ist der Seinszustand (sattā) eines wahrhaften Mantra Praktizierenden.

Der Svacchanda Tantra erklärt anhand des Aufstiegs der Bewusstseinskraft als Kuṇḍalinī den Prozess bewusster Aussprache analog zur Entstehung aller Götter (devatā), Welten (loka) und Seinsheiten der Existenz (tattva). Das reine Bewusstsein weitet sich aus dem Mūladhāracakra als die höchste Form von Sprache (parā-vac). Dies ist ein Zustand außerhalb Gedanken (unmana), er mündet als das grobstofflich artikulierte Wort (vaikhari-vac) im Sprachorgan. Im Herzen nennt sich die Sprachebene paśyanti-vac, sie existiert dort schlicht als einzelnes Atom. In der Halsgegend nennt sich die Sprachebene madhyama und existiert als zwei Atome. Auf der Zunge wird sie durch drei Atome gekennzeichnet. Die ursprüngliche Kraft der Sprache parā-śakti entfaltet sich auf diesem Weg als die fünfzig Laute des Sanskritalphabets zum veräußerlichten Wort. Alles Wissen und alle Erfahrung bedarf Sprache und wie hier dargestellt tritt diese aus der Uniformität reinen Bewusstseins von unten nach oben und von innen nach außen. Obgleich dies ein Prozess ist, der ständig stattfindet und sich stetig wiederholt, so ist sich dies nur der Yogī bewusst. Innerhalt der Kraft seiner eigenen Gewahrsamkeit nimmt er diesen Prozess wahr, mit Mantra übt er ihn. Die Quelle aller Mantras ist das göttliche Ich-Bewusstsein, zurück zu diesem göttlichen Ich-Bewusstsein soll der Mantra geführt werden.

„Die geheime Kraft des Mantras ist das strahlende und pulsierende Licht (sphurattā) des Lichtes des Bewusstseins in Identifikation mit der reflektiven Gewahrsamkeit um dieses perfekte Ich-Bewusstsein (pūrṇāhamvimarśa).”

„Der Yogī erfährt es durch eine aktive Willenskraft (icchāprasara). Er aktiviert diese Willenskraft, indem er sie bewusst macht, indem er die Wunschkraft der Seele betritt und dort deren eigentliche Kraft (ātmabala) erfährt.”

Da der Übungsweg mit Mantra ein Aufgehen in der höchsten Undualität zum Ziel hat, so warnen die Schriften sehr davor Mantra in geringerem Umfang zu üben, d.h. ihn z.B. wortwörtlich zu nehmen bzw. ihn nur als Buchstaben oder Worte und deren Bedeutung zu praktizieren. Praktizieren wir den Mantra als Werkzeug um unsere Anschauung zurück in das strahlende Licht des Bewusstseins zu führen, so erzeugt der Mantra Wissen (jñāna). Wird Mantra in irgendeiner limitierenden Form praktiziert, so erzeugt er Verlangen bzw. jenes, welches Leiden schafft (kāma).

Wie kann ein Mensch den Austritt des Höchsten, die eigentliche Schöpfungskraft, als Mantra erleben? Wir studieren hierzu das nächste Sūtra...




Das Śivasūtra ist der philosophische Leitfaden des Śivaismus aus Kaschmir. Da ein Sūtra in seiner Form äußerst kurz, gar kryptisch gefasst ist, bedarf es verschiedener Kommentare zum Verständnis. Zu den wichtigsten gehören der Kommentar von Abhinavaguptas Schüler Kṣemarāja Vimarśinī (K) sowie der Kommentar von Bhāskara Vāttika (Bh). Jaideva Singh übersetzte uns den ausgezeichneten Kommentar von Kṣemarāja ins Englische, eine deutsche Übertragung ist von Gabriele Schindeler erhältlich. Der Kommentar von Bhāskara wurde von Dr. Mark Dyczkowski übersetzt, in seinem eigenen Kommentar vergleicht er die beiden Kommentare von Kṣemarāja und Bhāskara. Sowohl Mark D. als auch Jaideva Singh sind Schüler des letzten vollkommenen Gurus dieser Tradition, Svami Lakṣmanjoo (SL). Seine besonders wertvollen Unterweisungen in diesen Grundlagentext wurden als Übersetzungen der Sūtren auf Englisch aufgeführt, die Sūtra Übersetzungen der zwei wichtigen Interpreten ebenso wie eine einfache deutsche Übersetzung des Autors. Der reine Sūtra Text ist nach Kṣemarāja, er wurde grammatikalisch Ausgebreitet. Es finden sich Auszüge der Kommentare von Kṣemarājas und Bhāskaras, ebenso strahlt der wertvolle Gedanken von Svami Lakṣmanjoo an einigen Stelle durch. 

Der vorliegende Text ist ein Ausschnitt aus meinem Skript einer mehrteiligen Seminarreihe in München 2015 zum Śivasūtra.


Bibliographie:

Svami Lakshmanjoo, Śiva Sūtras, The Supreme Awakening, Munshiram Manoharlal, Delhi 2007

Jaiveda Singh, Śiva Sūtras, The Yoga of Supreme Identity, Motilal Banarasidass, Delhi 1979

Mark S. G. Dyczkowski, The Aphorisms of Śiva, The Śiva Sūtra with Bhāskara’s Commentary, the Vārttika, Indica, Varanasi 1998


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